HUND & MENSCH
Wie kann ich mich von meiner Hündin verabschieden?
Schmetterling
So lernte ich Dich kennen, Neugierige mit der Affinität an Türstöcken zu knabbern. Deine kleinen Schritte hatten das Lachen eines Schmetterlings gebucht, sein Flattern. Du hattest die Fähigkeit zärtlich zu sein. Unmittelbar war Deine Reaktion, wenn Dein Fuß auf die eines Menschen traf. Und Du warst diejenige, die niemals ein Wort verlor, wenn Du Schmerzen hattest.
Mit Dir lernte ich Laufen
Hündin, Geduldige in Deinem Warten, Geduldige in Deiner Beobachtung. Du hattest es entdeckt, mit welchem Blick Deine Augen auf die meinen treffen mussten, um einen Wunsch erfüllt zu bekommen. Du hattest die Fähigkeit diese Balance zwischen Gehorsam und eigenem Kopf herzustellen. – Unsere Streifzüge durch die Natur waren ein Kennenlernen der Jahreszeiten, ein Kennenlernen von dem, was Laufen bedeutet. Mit Dir entdeckte ich die Sonne zu genießen und den Regen, den Nebel zu durchstreifen, den Schnee zu hören. Mit Dir durfte ich unter fliegenden Blättern im Herbst tanzen und im Sommer ohne Umwege Steilhänge hinab zum minimalen Rest eines Bachlaufs hangeln. – Ich beneidete Deine vier Füße, Deine Fähigkeiten Steigungen und Gefälle mit einem schnüffelnden Vergnügen zu überwinden.
Mit Dir entdeckte ich das Warten
Deine Nase hätte ich unheimlich gerne mir einmal in meinem Leben ausgeliehen. Deine Welt des Schnüffelns erlebt. Wenn an einem Punkt dieser Welt Du über Minuten Daten gesammelt hast um dann weiser, informierter und weierschnüffelnd Deinen Weg zu gehen.
So vergingen Jahre während denen ich auf Dich zählen konnte. Dein Begrüßen, Dein Sein. Keine Tasse Kaffee konnte ich nehmen, ohne dass Du in die Küche gekommen wärest. Keinen Schritt durfte ich ohne Dein Begleiten gehen. Du warst immer anwesend, wurdest Herzschlag, Atem und Schatten in einem.
Deine grauen Haare
„Madame“ nannte ich Dich schon als Welpe. Deine Lust das Haus zu verlassen war erst dann zu spüren, wenn die Haustüre hinter uns geschlossen wurde. „Madame“ war die Einladung, die Du hören wolltest. Und „Madame“ hat immer noch zu Dir gepasst, als Du Dich entschieden hast, weniger zu hören und deshalb umso mehr zu Riechen.
Deine Gegenwart hatte mit den grauen Haaren um Deine Schnauze noch mehr Ruhe ausgestrahlt. Und immer noch warst Du anwesend, warst Du Begrüßende, warst Du Begleitende. Warst Du der Grund, warum ich nur die Hälfte der Nacht in meinem Bett geschlafen habe und die andere Hälfte in Deiner Nähe auf dem Canapé. – Aus Angst, Dich nicht zu hören, aus Angst, Dich zu verlieren.
Dein aufforderndes Bellen
Du hast es nicht gehört, doch Du hast Dich daran erinnert, dass Du Bellen kannst und dass Dein aufforderndes, kurzes, nur als Andeutung im Raum stehendes Bellen mich Aufstehen lässt und Dir zwei Futter-Körner übergeben lässt. So haben wir in einer spielerischen Form ein Jahr verbracht, ein Jahr das uns mit dieser Zeremonie verband. – Ein Jahr, in dem ich Dich entschuldigt habe, wenn Du mich angebellt hast, bevor Du wusstest, es gerochen hast, dass ich es bin.
Deine anwesende Abwesenheit
Du hast heute Deine Augen geschlossen, schon bevor Du dich verabschiedest hast. Du konntest die Treppen nicht mehr gehen, die Du im Gestern noch ohne Schwierigkeiten begehen konntest. Ich habe Dich zum Tierarzt getragen. Und möchte jetzt die Bilder Deines langsamen Abschieds dort, Deinem Weg des Leidens, den ich nichtt mehr teilen konnte, den Du nicht mehr teilen wolltest löschen, Schmetterling!
Du bist aufgetaucht, weil uns Deine Punkte gefallen haben.
Du bist vom Kindchenschema zur galanten Hündin geworden.
Und du hast so unbarmherzig mir mit Deinen zwölf Jahren gezeigt
wie das Leben anfängt, wie es genossen wird und – ja – wie es aufhört
Vielleicht – oder sicher deshalb – weine ich über Deine Abwesenheit, die mir vor Augen führt, dass endlich auch mein Gehen, Denken. Lachen, Lieben.
Morgen stehe ich auf und ich weiß, dass Dein Schatten sich unsichtbar der Plätze annehmen wird, die in unseren Vier Wänden die Deinen waren. Dass Du unsichtbar bist, mag sein. Dass Du anwesend bist, das werde ich spüren. Du hast immer den Vortritt, wenn ich die Türe öffne.
Text: Christoph Maisenbacher – gewidmet unserer Dalmatiner-Hündin Daphne (14.10.2008 – 18.05.2021)
Foto: © Paula De Lemos