UNIVERSITÄT TRIER
Uni Trier will mit Umfrage erforschen ob „Geiler Arsch!“ strafrechtlich verfolgt werden soll
Die Presseinformation der Universität Trier – übrigens vom 31. Mai 2021 – hat uns überlegen lassen: eine Umfrage zum Thema „Catcalling“ will herausfinden, ob ein sexuell anzügliches Hinterherrufen oder Nachpfeifen in der Öffentlichkeit möglicherweise geahnndet werden soll. Dazu gibt es eine Umfrage, an welcher noch bis zum 15. Juni 2021 teilgenommen werden kann: https://www.unipark.de/uc/streetharassment/
Doch trifft die Umfrage den Sachverhalt?
In unserer Redaktion war jede und jeder als erstes motiviert, die Umfrage kennenzulernen: doch aus einem „Geiler Arsch!“ und „Pssst, hey Süße! Schon etwas vor?“ (aus der Pressemeldung) wurde ein
Geile Sau
Idiot
Wie heißt du?
Schöne Beine
Bock zum vögeln?
Na, du geile Maus?
Arschloch
Schönes Kleid?
Na, willst du dir etwas dazuverdienen?
Geile Titten
In unseren Augen eine Mischung aus Hinterherrufen und Beschimpfungen (wozu wir „Idiot“ und „Arschloch“ zählen). – Warum das „Hey Süße! Schon etwas vor?“ in der Übersicht fehlt erstaunte uns. Und ganz und gar durchgefallen ist in unseren weiblichen wie männlichen Augen die Umfrage wenn gefragt wird:
„Was denken Sie, wie sich jemand nach einem Catcall fühlt?“ – Da fragten wir uns als erstes: nach den oben notierten „Calls“? – Doch jeder der Calls hat eine unterschiedliche Bedeutung, so dass eine Bewertung von “ geschmeichelt, erregt, bedroht, genervt, angewidert, bekräftigt, neutral, belustigt, attraktiv, beschämt, wütend“ nicht mit „trifft nicht zu, trifft eher nicht zu, trifft eher zu, trifft zu“ so pauschal für alles zu beantworten ist. – Doch möchten wir Sie mit unserer Kritik nicht daran hindern, teilzunehmen!
Wir schließen aus dem Sachverhalt, dass bis dato „fast eintausend Studierende und Mitarbeiter der Universität Trier und deren Freundinnen und Freunde“ die Umfrage bereits ausgefüllt haben, eine Einseitigkeit bezüglich der ästhetisch-inhaltlichen Bewertung der Aussagen und damit bezüglich den Ergebnissen der Umfrage.
Damit diese gesellschaftlich relevante Ergebnisse vorweisen könnte, empfielt es sich auch in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten Forschungsarbeit zu unternehmen. – Wenn in Trier-Nord (Danke an Theo Löwen) aus „Geiler Arsch“ ein „En Käfft wie en Brauereipferd“ wird. Und ein „Bock zum vögeln?“ ein „Hey Mädel spreiz die Hacksen ie mog dich fruchten“ wird, kann aus einem „Wie heißt du?“ auch eine Ohrfeigen-Antwort werden.
Und wenn sog. Gewohnheiten der Kommunikation wie das appellative „fuck“, das unseren Sprachraum durchdringt. Oder noch extremer, wie Reisende es immer wieder mitbekommen können: im nordportugieschischen Porto es geradezu „sprach-“ und „satz-üblich“ ist, Worte wie „foda-se“ (fuck it) oder „filho da puta“ (Hurensohn), „pró caralho“ (fick dich ins Knie), „caralho“ (Schwanz) oder „merda“ (Scheiße) in die gewöhnliche Alltagssprache einzumischen. – Dann wird es schwierig die juristisch Angegriffenen im Gewirr des „Hurensohn, war für ein Geiler Arsch“ zu finden. Denn hier kann ein männlicher Freund von einer Frau / einem Mann auf den Arsch der / des Vorbeigehenden hingewiesen worden sein!
Damit sind wir auch an dem Punkt angelangt, dass es unterschiedliche Kulturen gibt, die unterschiedliche Worte und auch Gesten mit „ganz normal“ oder als „beleidigend“ interpretieren. – Oder: Wenn ein/e Bayer/in auf die „Saupreißn“ (die Norddeutschen) schimpft oder ihren/seinen Nachbarn auch mal mit „damischer Saupreiß“ an den Pranger stellt, ist das beleidigend oder in einer geschichtlichen Tradition?
Fragen also, die in unserer Redaktiion auf Grund einer Presseinformation der Universität Trier entstanden sind.
Dennoch möchten wir auch die Presseinformation in vollem Umfang – wie die Trierer Umschau diese erhalten hat – hier abdrucken:
„„Geiler Arsch!“ Darf man das sagen?
Die Rechtswissenschaft der Universität Trier führt eine Online-Umfrage zu sexuell anzüglichem Hinterherrufen durch. Die Ergebnisse sollen den Anstoß geben, Catcalling in juristischen Fachkreisen zu diskutieren.
In der Rechtswissenschaft werden eigentlich Schriftsätze verfasst und Argumentationen geschrieben, aber keine Studien konzipiert. Zwei Studentinnen der Universität Trier wagen ein Pilotprojekt, das ihr Strafrechtsprofessor Dr. Mohamad El-Ghazi unterstützt. Miriam Gemmel und Johanna Immig studieren im achten Semester Jura und bereiten sich auf das erste Staatsexamen vor. Doch das Thema Catcalling lässt sie nicht los. Unter Catcalling versteht man das sexuell anzügliche Hinterherrufen oder Nachpfeifen gegenüber fremden Personen in der Öffentlichkeit. Aussprüche wie „Geiler Arsch!“ oder „Pssst, hey Süße! Schon etwas vor?“ sind Beispiele für solche Äußerungen.
Das Catcalling diskutierten sie in einem Meeting mit ihren Professoren. Die Meinungen der Mitarbeitenden und auch der Professoren gingen auseinander. In Deutschland ist sexuelle Belästigung bislang nur strafbar, wenn sie mit einer Berührung einhergeht. Das ist ein Tatbestand, der strafrechtlich verfolgt wird. Ein Nachrufen kann als Beleidigung interpretiert und geahndet werden. Was aber, wenn weder ein Fall von sexueller Belästigung noch der einer Beleidigung vorliegt?
Die Jurastudentin Miriam Gemmel erklärt den Hintergrund zur Umfrage: „Nach jetzigem Stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung kann Catcalling nicht geahndet werden. Aber die vollständige Bewertung im Recht ist noch nicht erfolgt. Wir möchten den Diskurs in juristischen Fachkreisen anstoßen.“ Ihre Co-Autorin Johanna Immig veranschaulicht das Vorgehen: „Die Teilnehmenden der Umfrage geben uns einen ersten Eindruck dazu, wie sie das Catcalling aus ihrer persönlichen Sicht bewerten. Mit der Umfrage finden wir heraus, ob die Mitte der Gesellschaft es für erforderlich hält, dass Catcalling als Straftatbestand oder Ordnungswidrigkeit eingestuft wird. Die Ergebnisse fassen wir zusammen und werden sie mit einer juristischen Einordnung veröffentlichen.“
Strafrechtler Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi der Universität Trier hält das Thema für interessant und befürwortet die Umfrage. Das Strafrecht ist für ihn das „schärfste Schwert“ im Arsenal des Rechtsstaats: „Daher bin ich grundsätzlich skeptisch, wenn es um die Kriminalisierung neuer Phänomene geht. Wir sind uns einig darüber, dass wir aussagekräftige Daten darüber brauchen, wie verbreitet das Phänomen Catcalling ist und mit welchen psychischen Beeinträchtigungen es für die Opfer einhergeht. Nur so lässt sich eine Aussage über die Verhältnismäßigkeit einer eventuellen Strafvorschrift treffen.“
Fast eintausend Studierende und Mitarbeitende der Universität Trier, Fachkolleginnen und Fachkollegen, Freundinnen und Freunde sowie Familienmitglieder haben die Umfrage bereits ausgefüllt. Ziel ist es, dass möglichst viele Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen ihre Einschätzungen abgeben. Jeder und jede kann bis zum 15. Juni 2021 an der Umfrage teilnehmen. Es gibt keine Voraussetzungen, die dafür zu erfüllen sind. Unter folgendem Link geht es zur Umfrage: https://www.unipark.de/uc/streetharassment/. Pro ausgefüllten digitalen Fragebogen spenden die beiden Juristinnen 50 Cent an eine gemeinnützige Organisation. Die jeweilige Organisation können die Teilnehmende am Ende der Umfrage selbst auswählen.“
Text: Christoph Maisenbacher
Quelle: Univertität Trier / Kommunikation & Marketing – 9. Juni 2021
Foto: efes / pixabay com