Regine Stephan am 13. April 2024 in Berlin – die Trierer Umschau druckt deren gesamte „letzte Worte“ vor der Verurteilung im Sylt-Prozess hier ab! - Foto: © Letzte Generation
Die Urteilsverkündung im Sylt-Prozess gegen Klimaaktivistinnen und -aktivisten der Letzten Generation wurde am 6. Dezember 2024 in Itzehoe mit Aktionen begleitet - Foto: © Letzte Generation

LETZTE GENERATION

Regina Stephan, Umweltaktivistin der Letzten Generation, hielt eine beeindruckendes „letztes Wort“ vor Ihrer Verurteilung im Sylt-Prozess

Die Trierer Umschau bleibt der Berichterstattung zu den Aktivitäten der Letzten Generation (LG) treu. Auch wenn wir inzwischen gewohnt sind, dass die Kommentare „gehören alle ins Gefängnis“ oder kürzer „Verbrecher“ nicht ausbleiben wollen. Schnell ist man heutzutage mit Stempeln unterwegs „Links“ – „Rechts“ – „Verschwörungstheoretiker“. Und so ein Stempel funktioniert sehr gut, denn dann ist man schon mal aufgeräumt in einer Schublade der gesellschaftlichen wie juristischen Verbannung.

Wie gut erinnere ich mich an die Kritik an der Naturschutzorganisation Greenpeace, die wie die Letzte Generation Extreme wählen muss. Wer erinnert sich noch an die „Jute statt Plastik“ Bewegung Ende der 80er Jahre, die mehrheitlich belächelt wurde. Heute hat man die Gefahr von Plastik als Transportmittel (Tüte) wohl mehr als erkannt. Dass „Make love, not war“ als Slogan der Antikriegsbewegung heute wieder aktuell werden sollte, davon sind wir zwar „stimmungsmäßig“ noch weit entfernt. Aber auch dafür setzt sich die Trierer Umschau regelmäßig ein.

Es geht immer und immer wieder um den Inhalt

Slogans sind – wie gesagt – eine Zusammenfassung von Inhalt. Doch um wirklich einen eigenen Weg gehen zu können, bedarf es Anregungen, Impulse, Orientierungs-Hilfen, die jedem einzelnen – ohne Zwang – seinen Weg wählen lassen.

Deshalb hat die Trierer Umschau die Pressestelle der Letzten Generation vor zehn Tagen gebeten, die vollständige Rede von Regina Stephan abdrucken zu dürfen
Das Gericht in Itzehoe hatte ihr in Zusammenhang mit dem Prozess zu den Aktionen der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ auf Sylt ein „letztes Wort“ vor der Urteilsverkündung gewährt: (1)

„Hohes Gericht,
vielen Dank für die Erteilung des letzten Wortes. Liebe Anwesende,
vielen Dank, dass ihr uns in diesem Prozess unterstützt und begleitet habt, nach Itzehoe gekommen seid und diese Prozesstage mit uns durchgestanden habt.

Eigentlich wollte ich in meinem letzten Wort noch einmal darüber reden, warum ich diesen Protest gemacht habe.
Aber ich glaube, es ist alles gesagt.
Ich muss nicht nochmal erzählen, dass die Klimakatastrophe da ist.
Ich erspare uns noch mehr Zahlen und Statistiken, wie viele Menschen dieses Jahr an Hitze, Luftverschmutzung oder Überflutungen gestorben sind oder von Dürre und Hungersnöten betroffen sind.
Sie wissen das.

Ich will das letzte Wort nutzen, um über zivilen Ungehorsam, den Rechtsstaat und die Demokratie zu sprechen.
Ich will darüber sprechen, welche katastrophalen Folgen es für die Demokratie hat, wenn friedliche Proteste von Gerichten als Straftaten verurteilt werden.

Ziviler Ungehorsam kommt ja nicht aus dem nichts.

Das Problem des zivilen Ungehorsams, entsteht nur in einem mehr oder weniger gerechten demokratischen Staat für die Bürger, die die Verfassung anerkennen.
Das Problem besteht in einem Pflichtenkonflikt.
An welchem Punkt ist die Pflicht, sich den von einer Gesetzgebungsmehrheit beschlossenen Gesetzen (oder den von ihr unterstützten Handlungen der ausführenden Gewalt) zu fügen, nicht mehr bindend angesichts des Rechts zur Verteidigung seiner Freiheit und der Pflicht zum Widerstand gegen Ungerechtigkeit?
Diese Frage rührt an den Sinn und an die Grenzen der Mehrheitsregel. (Rawls, 1988)

Das Mehrheitsargument hinkt bei der Klimakatastrophe gleich doppelt:
Selbst wenn in Deutschland eine Mehrheit keine Lust auf Klimaschutz hätte, dürfen wir nicht entscheiden, dass es deshalb okay ist, wenn z.B Menschen in Mexiko an Hitze sterben – denn die Menschen, die an den Folgen dieser Entscheidung leiden würden, die hätten wir ja gar nicht gefragt.

Klimaschutz ist ein Menschenrecht.
Alle, 100% der Menschen, die auf dieser Erde leben (oder leben werden), haben das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt.
Das hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2022 festgelegt. Menschenrechte sind – aus gutem Grund – auch nicht durch Mehrheitsverhältnisse abschaffbar.

Ziviler Ungehorsam entsteht, wenn eine bedeutende Anzahl von Staatsbürgern zu der Überzeugung gelangt ist,
dass entweder die herkömmlichen Wege der Veränderung nicht mehr offenstehen beziehungsweise auf Beschwerden nicht gehört und eingegangen wird oder dass im Gegenteil die Regierung dabei ist, ihrerseits Änderungen anzustreben, und dann beharrlich auf einem Kurs bleibt, dessen Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit schwerwiegende Zweifel aufwirft. (Ahrendt, 1969)
Die herkömmlichen Wege der Veränderungen haben offensichtlich nicht ausgereicht, sonst hätten wir die 1,5°C ja nicht überschritten.
Das Bundesverfassungsgericht selbst hat die Klimapolitik der Bundesregierung als verfassungswidrig verurteilt.

Dieser Protest war gewaltfrei. Es ist kein Mensch dabei zu Schaden gekommen – anders als wenn der Privatjet weiter geflogen wäre.
Der Protest war symbolisch.
Wir haben einen Privatjet angesprüht und damit dafür gesorgt, dass er zumindest für kurze Zeit nicht fliegt.
Damit haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir die gesamte Zerstörung durch die Superreichen aufhalten müssen.
Und das ist uns gelungen.

Hier stehen wir also.
Wir wissen, dass die Klimakatastrophe eine akute Gefahr für das Leben und die Gesundheit darstellt.
Das Handeln (oder eher nicht-handeln) der Bundesregierung wurde als verfassungswidrig verurteilt.
Petitionen, Demos, eine grüne Partei, all das hat nicht zur Einhaltung der Verfassung geführt.
Wir wissen, dass ziviler Ungehorsam politische Veränderungen hervorbringen kann. Der einzige, logische Schritt ist doch, dass wir protestieren.

Jetzt aufzugeben, das wäre die Selbstaufgabe unserer Verfassung und – viel schlimmer – die Selbstaufgabe der Menschenrechte.

Trotzdem stehen wir hier vor Gericht.
Und ich glaube, dass sie uns verurteilen werden, und das macht mir Angst.

„Straftaten sind Straftaten“, werden Sie ihr Urteil begründen.
Diesen Umgang mit zivilem Ungehorsam nennt man auch „autoritärer Legalismus“ Habermas sagte schon 1983 zur Strafverfolgung von zivilem Ungehorsam:
„Der Rechtsstaat, der zivilen Ungehorsam als gemeines Verbrechen verfolgt, gerät auf die schiefe Ebene eines autoritären Legalismus.

Wenn Sie in einem Rechtsstaat auf zivilen Ungehorsam mit autoritärem Legalismus zu
reagieren, dann ist genau dasselbe, wie wenn sie in einem Unrechtsstaat auf aktiven Widerstand mit pseudolegalen Repressionen reagieren.

Es ist ihre Aufgabe als Jurist*innen, Recht und Gesetze immer im aktuellen gesellschaftlichen Kontext auszulegen.
Sie können eben nicht sagen „Straftaten sind Straftaten, Gesetze sind Gesetze“.

In den Begriffen eines konventionellen, aus vormodernen Rechtsverhältnissen stammenden Staatsverständnisses verkennen und verkürzen sie die moralischen Grundlagen und die politische Kultur eines entwickelten demokratischen Gemeinwesens.
Jede Rechtsstaatliche Demokratie, die sich ihrer selbst sicher ist, betrachtet den zivilen Ungehorsam als normalisierten, weil notwendigen Bestandteil ihrer politischen Kultur.“ (Habermas, 1983)

Demokratie zeichnet sich im Gegensatz zu autoritären oder totalitären Regimen durch die Möglichkeit aus, Dissens zu zeigen, das demokratische Zusammenleben immer wieder neu zu verhandeln und zu verändern. (Akbarian, 2023)
Konsens, also Gehorsam, kann in einer Demokratie überhaupt nur dann erreicht werden kann, wenn Dissens, also Ungehorsam möglich ist.

In anderen Worten: Das muss eine Demokratie nicht nur aushalten können, sie ist sogar darauf angewiesen.

Und trotzdem sitzen wir hier auf der Anklagebank.
Ich verzweifle langsam, aber sicher an diesem sogenannten Rechtsstaat.
Wir sitzen in einem grauen Gebäude im China-Logistik-Centrum in einem Industriegebiet in Itzehoe.
In einem Gerichtssaal, der für einen KZ-Prozess gebaut wurde.
Die Zuschauenden sitzen hinter Glasscheiben und alles wird beim Einlass kontrolliert. Als wären wir gefährliche Schwerverbrecher
Das ist an Absurdität kaum zu überbieten.

Wegen Farbe auf einem Privatjet.
Der jedes Wochenende nach Sylt und zurück fliegt, mal für zwei Tage, mal nur für eine Stunde Kaffee trinken.
Der damit jedes Jahr 200 Tonnen CO2 ausstößt.

Als wäre nicht das eigentliche Problem die Tatsache, dass überhaupt Menschen Privatjets haben und damit unfassbar viel zerstören.
Dass die Politik nichts macht, um dieser maßlosen Zerstörung Einhalt zu gebieten. Dass ein Großteil der Gesellschaft dabei zuschaut.

Dass die Bundesregierung das Grundgesetz bricht, vom Bundesverfassungsgericht dafür verurteilt wird und trotzdem einfach weiter macht.

Als wäre das eigentliche Problem nicht das, dass ihr die Klimakatastrophe seit 40 Jahren befeuert und keinerlei Verantwortung dafür übernehmt.
Dass deshalb Menschen ihr Zuhause verlieren, ihre Existenzen, ihr Leben.

Die Staatsanwaltschaft hat mich zu Beginn des Prozesses gefragt, was ich denn machen würde, wenn unsere Proteste scheitern. Was mache ich, wenn‘s nicht klappt?
Als wäre es mein ganz persönliches Problem, wenn die Proteste scheitern. Aber, ganz ehrlich, was machen Sie alle dann?
Wenn Sie auch die letzten Klimaaktivist*innen erfolgreich verurteilt und eingesperrt haben?
Wenn keiner mehr da ist, der sich dafür einsetzt, dass diese Welt, die ja auch ihre ist, ein bisschen weniger scheiße ist.
Wird davon die Welt zu einem besseren Ort?
Denken Sie, dass deshalb ihr Wohnzimmer nicht unter Wasser stehen wird?

Können Sie alle dann in zehn Jahren ihren Kindern in die Augen schauen?
Was werden Sie ihnen sagen?
Dass es ihnen egal war, wie die Welt wird?
Dass Sie zu bequem waren, sich für ihre Kinder einzusetzen? Dafür, dass sie mal Träume haben können?

Immerhin haben Sie sich dafür eingesetzt, dass die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ aufrechterhalten wird und niemand die herrschende Kapitalordnung in Frage stellt. Wenigstens haben Sie die Welt geordnet gegen die Wand gefahren.

Ich kann nicht einfach aufgeben.
Ich bin 22, ich möchte noch 60 Jahre auf dieser Welt bleiben.
Auf der Welt, die ihr mit Vollgas gegen die Wand gefahren habt, die ihr ausgebeutet, zerstört und abgebrannt habt.
Und mit diesem Haufen an Zerstörung lasst ihr uns jetzt allein. Ich habe keine Wahl.
Ihr habt mir und meiner Generation einfach keine Wahl gelassen.

Mich wird diese Katastrophe treffen.
Und meine Patient*innen auch.
Und Millionen, Milliarden von Menschen trifft sie jetzt schon.
Mit der Physik können wir nicht verhandeln, mit der Schwerkraft genauso wenig wie mit der Klimakatastrophe.
Wir können vor der Klimakatastrophe nicht weglaufen und die Klimakatastrophe hält sich auch nicht an Mehrheitsverhältnisse.

Jedes Gramm CO2, das jetzt noch ausgestoßen wird, ist eins zu viel.
Jeder Bruchteil eines Grades, den es heißer wird, ist tödlich.
Ihr habt versagt, und wir müssen die Konsequenzen jetzt ertragen. Euch mag das alles egal sein.
Aber mir kann mein Leben nicht egal sein.

Ich will nicht in einer Welt leben, die abwechselnd in Flammen oder unter Wasser steht.
In der wir um Wasser und Nahrungsmittel kämpfen müssen
Und der schwächste verliert.

Ich will nicht in einer Welt leben, in der Gier und Hass alles zerstört haben.
In der Macht und Geld die Menschlichkeit abgeschafft haben. Und Menschenrechte nur auf dem Papier existieren.

Ich will nicht in einer Welt leben, in der Existenzen in Fluten verschwinden
In der Menschen ihr Zuhause verlassen müssen
Und auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken.

Ich will nicht in einer Welt leben, in der Menschenleben so egal sind.
Ich arbeite auf einer Intensivstation und alles an meiner Arbeit, alles was ich in der Uni lerne, ist darauf ausgelegt, das Leben dieses einen Menschen vor uns zu retten.
Und dann hab ich Feierabend, gehe raus aus der Klinik und lande in einer Welt, in der wir Millionen Menschenleben für Luxus, Bequemlichkeit oder die Wirtschaft opfern, in der Tote eine Statistik sind.

Ich will nicht in einer Welt leben, in der Träume zu Alpträumen wurden.

Sie sollten uns freisprechen,
Weil die Klimakatastrophe eine gegenwärtige Gefahr für das Leben und die Gesundheit darstellt.
Weil ziviler Ungehorsam geeignet ist, darauf aufmerksam zu machen und dadurch politische Veränderungen zu erwirken.
Weil dieser Protest ein geeignetes Mittel war, um politisch und gesellschaftlich etwas zu verändern.

Wir haben in diesem Prozess viel über Wissenschaft diskutiert.
Sie haben mich immer wieder gefragt, ob es denn meine Meinung sei, was die Wissenschaft sagt. Aber ehrlich gesagt ist es der Wissenschaft relativ egal, wer welche Meinung hat.
Gerichtsverfahren haben, so habe ich das mal gelernt, das Ziel der Wahrheitsfindung
Wissenschaft ist die beste Annäherung an eine objektive Wahrheit, die wir haben.
Es gibt keinen Grund, weshalb Sie gegen wissenschaftliche Tatsachen urteilen sollten.

Sie sollten uns freisprechen, weil es nach allen Regeln der Wissenschaft objektiv richtig war, diesen Protest zu machen.

Sie sollten uns freisprechen,
weil es kein Recht auf Zerstörung gibt, aber ein Recht auf den Schutz unserer Lebensgrundlagen.
Weil das Recht auf den Schutz unserer Lebensgrundlagen in unserem Grundgesetz verankert ist.
Weil Sie auf dieses Grundgesetz mal einen Eid geschworen haben.
Weil das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt ein Menschenrecht ist.
Weil Sie mit ihrem Eid auch die Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte anerkannt haben.

Sie sollten uns freisprechen,
Weil sie eine Verantwortung haben, für diese Demokratie, für diesen Rechtsstaat

Und weil es auch ihre Verantwortung ist, diese Katastrophe aufzuhalten.
Wenn Sie schon selbst nichts machen, um diese Katastrophe aufzuhalten, wenn Sie sich dem Unrecht nicht selbst entgegensetzen, dann ist es das Mindeste, was sie tun können, dass Sie nicht die Menschen verurteilen und einsperren, die genau das versuchen.

Wenn Sie uns nicht freisprechen, dann wird’s die Geschichte tun.

Ahrendt, H. (1969). Ziviler Ungehorsam. In In der Gegenwart. Übungen zum politischen
Denken II. Ursula Ludz. München: Piper Verlag.
Akbarian, S. (2023). Ziviler Ungehorsam als Verfassungsinterpretation. https://koerber- stiftung.de/site/assets/files/33219/essay_akbarian_fin.pdf
Habermas, J. (1983). Ziviler Ungehorsam-Testfall für den demokratischen Rechtsstaat.
Wider den autoritaren Legalismus in der Bundesrepublik'(Civil Disobedience-Test Case for the Democratic Constitutional Slate). In Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat. Suhrkamp.
Rawls, J. (1988). Eine Theorie der Gerechtigkeit (4. Aufl. ed.). Suhrkamp.“

(1) Regna Stephan wurde am 6.12.2024 in Itzehoe zu 6 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Die Mitangeklagte Lilli Gómez zu 7 Monaten Gefängnis ohne Bewährung. – Vgl. auch https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1409854.html

P.S. Die Markierungen im Text von Regina Stephan wurden von uns übernommen.

 

Vortext: Christoph Maisenbacher
Quelle: Letzte Generation / Regina Stephan – Danke an Rolf Meyer für die Zusendung – 17. Dezember 2024
Foto: © Letzte Generation