Die biologische Vielfalt ist das Damoklesschwert über unseren Köpfen: je geringer die Vielfalt ausfällt, desto näher rückt das Schwert - Foto: Jamie Hagan - Unsplash

NATURSCHUTZ

Es geht um unsere Freiheit – BUND erhebt weltweit erste Verfassungsklage auf bessere Naturschutz-Gesetzgebung

Wenn man ungebremst oder zu schnell auf eine Wand zurast, führt die Kollision zu einer absoluten Einschränkung meiner (Bewegungs-) Freiheit oder zum Tod. – So könnte man es sich vorstellen, was momentan in Sachen Naturschutz passiert. Die auf der Hand liegende Folge betrifft uns Menschen in unserer Freiheit des Lebens, der Gesundheit und der Ernährung.

Unser Artikel 2 des Grundgesetztes steht auf wackeligen Beinen

Es lohnt sich, die für jeden von uns Bürgern geltenden „Persönlichen Freiheitsrechte“, wie der Artikel 2 das Grundgesetzes überschrieben ist, vor Augen zu führen:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Ein Eingreifen schränkt die Freiheiten ein. Wir konnten diese Beschränkungen unserer Freiheiten in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie am eigenen Leib erfahren. Doch diese Einschränkungen waren temporär. Wenn wir jetzt nicht abbremsen – sofern dies noch möglich ist – dann muss entweder ein Gesetz uns vor der Mauer schützen oder wir werden den Aufprall nicht überleben.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) will uns alle vor der Mauer schützen, auf die wir gerade und wohl auch wissend zufahren. Deshalb erhebt er die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht, so dass der Gesetzgeber ein umfassendes Biodiversitäts-Schutzkonzept in Gesetzesform vorlegen muss.

Folgende Presseinformation erklärt das genauer:

BUND erhebt weltweit erste Verfassungsklage auf bessere Naturschutz-Gesetzgebung
Naturschutz ist Menschenrecht – Umfassendes Biodiversitäts-Schutzkonzept nötig

● Ungebremstes Artensterben: Lage beim Naturschutz schlimmer als beim Klima
● Ohne intakte Ökosysteme menschliche Existenz bedroht
● Bundestag auf Erlass eines umfassenden gesetzlichen Biodiversitäts-Schutzkonzept verklagt

Mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erhebt weltweit erstmals jemand vor einem obersten Gericht Klage auf eine bessere Naturschutz-Gesetzgebung. Gemeinsam mit mehreren Einzelklagenden wie dem bekannten Schauspieler Hannes Jaenicke und Naturschützer Christof Martin erhebt der BUND heute Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Mit der Klage soll der Gesetzgeber verpflichtet werden, ein umfassendes gesetzliches Biodiversitäts-Schutzkonzept vorzulegen. Dies muss einen sofortigen Stopp des Biodiversitätsverlusts und koordinierte Schritte zur Wiederherstellung von biologischer Vielfalt umschließen.

Das Tempo bei Artensterben und Naturzerstörung ist noch dramatischer als die Geschwindigkeit der Klimakrise. Ohne intakte Ökosysteme, Bodenneubildung, funktionierende Bestäubung und Süßwasserkreisläufe ist die menschliche Existenz langfristig bedroht. Die Überschreitung der planetaren Grenzen gefährdet die physischen Grundlagen jeglicher menschlichen Freiheit. Sie bedroht damit die Menschenrechte, insbesondere die auf Leben und Gesundheit.

Die Überschreitung der planetaren Grenzen bedroht die Menschenrechte

Ein wirksamerer Naturschutz ist deshalb zwingend notwendig für unsere Freiheit. Es ist zudem auch ökonomisch unstreitig, dass der Biodiversitätsverlust um ein Vielfaches teurer zu werden droht als ein wirksamer Naturschutz.

Myriam Rapior, stellvertretende BUND-Bundesvorsitzende und Mitglied in mehreren Beratungsgremien der Bundesregierung: „Beim Erhalt der Biodiversität geht es um nichts Geringeres als um unsere Lebensgrundlagen. Die Natur in Deutschland wird jedoch nur unzureichend geschützt und der Verlust schreitet voran. Zahlreiche Expert*innengremien der Bundesregierung und des Bundestages weisen seit Jahren auf den dringenden Handlungsbedarf im Naturschutz hin – dennoch bleibt es bei unzureichenden Maßnahmen. Der BUND setzt sich seit Jahrzehnten konsequent für den Naturschutz ein und setzt juristisch jetzt ein starkes Zeichen: eine Klage vor dem Verfassungsgericht. Wir hoffen, dass die Biodiversität bald wirksam geschützt und Ökosysteme stabilisiert werden, damit Nahrung, sauberes Wasser und frische Luft auch in Zukunft gesichert sind.“

Juristisch vertreten wird die Verfassungsbeschwerde wie schon die Klima-Verfassungsbeschwerden 2018 und 2024 von der Kanzlei Baumann Rechtsanwälte – namentlich von den Rechtsanwältinnen Dr. Franziska Heß und Lisa Hörtzsch – gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt von der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik (alle Leipzig).

Felix Ekardt: „Der Biodiversitätsverlust ruiniert die Voraussetzungen menschenrechtlicher Freiheit wie Leben, Gesundheit und Ernährungssicherheit. Umgekehrt droht, dass ein wirksamer Naturschutz so lange vertagt wird, bis Naturschutz nur noch mit massiven Freiheitseingriffen machbar ist. Wir wollen Freiheit und Demokratie langfristig bewahren und fordern deshalb ein gesetzliches Schutzkonzept für die Natur.“

Franziska Heß: „Wir zeigen mit der Verfassungsbeschwerde erstmals, dass der einzelne Mensch in seiner Freiheit und ihren Voraussetzungen konkret vom Biodiversitätsverlust betroffen ist. Und wir zeigen gleichzeitig im Anschluss an ein bahnbrechendes Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom April 2024, dass auch Umweltverbände dies geltend machen dürfen.“

Vorbild ist die erfolgreiche Klima-Verfassungsbeschwerde, die der BUND gemeinsam mit dem Solarenergie-Förderverein 2018 als erster vor das Bundesverfassungsgericht brachte, um die Gesetzgebung zu ehrgeizigeren Zielen beim Klimaschutz zu verpflichten. Der Klima-Beschluss des Gerichts 2021 war die weltweit bisher weitestgehende Entscheidung auf bessere Umweltgesetzgebung eines obersten Gerichts. Im September hatte der BUND, wieder gemeinsam mit anderen Verbänden, eine zweite Klima-Verfassungsbeschwerde erhoben, weil der Klimaschutz zwar Fortschritte gemacht hat, aber weiterhin unzureichend ist. Die Verfassungsbeschwerde wird neben der Großspende von Christof Martin unterstützt von der Pelorus Jack Foundation und von Protect the Planet.“

Vortext: Christoph Maisenbacher
Quelle: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) – 28. Oktober 2024
Foto: Jamie Hagan – Unsplash